Theorie der Konstitution sozialer Gedächtnisse

Basisinformationen
Beginn: 
2009
Ende: 
2012

Die projektierte Habilitation will eine soziologische Theorie sozialer Gedächtnisse in Form einer Konstitutionstheorie entwickeln. Sie reagiert damit auf einige Desiderata und Probleme in aktuellen Gedächtnistheorien:

  1. Der Großteil der vorhandenen Theorien sozialer Gedächtnisse rekurriert auf Maurice Halbwachs' Theorie des kollektiven Gedächtnisses (Welzer 2008; Assmann 1999; 1997; 2002; Knoblauch 1999). So einleuchtend und erfolgreich die Theoreme der konstitutiven Gegenwartsbezogenheit von Gedächtnissen ist: diese auf der Grundlage von Durkheims Konzept der mechanischen Solidarität entwickelte Theorie und ihre Nachfolger  erfassen die Prozesse der gesellschaftlichen Differenzierung und damit höherstufige gesellschaftliche Konglomerate nicht.
  2. Auf der Gegenseite können Differenzierungstheorien (Esposito 2002; Schmidt 1996; Zierold 2006; Luhmann 1997: 576 ff.) zwar Gedächtnisse von größeren gesellschaftlichen Einheiten wie Organisationen oder Teilsystemen theoretisch fassen und auch die Evolution von gesellschaftlichen Gedächtnissen nachzeichnen. Dabei gehen sie jedoch einerseits von einer engen und teilweise ausschließlichen Kopplung an die Medienentwicklung aus und andererseits sind Phänomene wie Familiengedächtnisse schwer mit diesen Konzepten zu fassen.
  3. In beiden Strängen der Theoriebildung bleibt das Verhältnis von individuellen zu sozialen Gedächtnissen (die Konstitution sozialer Gedächtnisse überhaupt) problematisch: die interaktionsbasierten Theorien gehen von einer vorgängigen, evtl. anthropologisch begründeten Sozialität aus und kommen nicht über eine metaphorische Umschreibung der inhärenten Prozesse hinaus; die Differenzierungstheorien verdecken das Problem mit dem Begriff der strukturellen Kopplung.

Aufgrund dieser Befunde möchte ich von der Annahme ausgehend, dass Sinn und die mit seiner Konstitution verbundene Typisierungen und Typiken grundlegend für soziale Phänomene auf allen Ebenen der Gesellschaft sind, die Frage beantworten, wie sich soziale Gedächtnisse konstituieren. Dazu wird in einem ersten Schritt mit Hilfe von phänomenologischen Überlegungen Gedächtnis in seinem Verhältnis zu Erfahrung und Sinnkonstitution bestimmt. In diesem Zusammenhang wird die grundsätzliche Instabilität von Sinn und die Revidierbarkeit von Typiken herausgearbeitet. In einem zweiten Schritt wird Typisierung als Horizont der Sinnkonstitution und grundlegender Modus des Weltzugangs und der Reduktion von Komplexität entwickelt, sowie der Typenbegriff spezifiziert. In einem dritten Schritt wird auf der Interaktionsebene eine genauere Beschreibung der Konstitution von intersubjektiven Typiken erstens anhand der sich wiederholenden Praxis der Kommunikation und Kooperation und zweitens anhand der Praxis der Referentialität auf materielle Artefakte vorgenommen. Auf dieser Basis können dann differenzierungstheoretische Überlegungen für höherstufige gesellschaftliche Zusammenhänge vorgenommen werden, die auf die Rekonstruktion der variierenden, stabilisierenden und selegierenden Konstitutionsbedingungen von sozialen Gedächtnissen in Gesellschaften der Moderne zielen. Dann werden Differenzierung als variierende Konstitutionsbedingung, Medialität, Authentizität und kommunikative Gattungen als stabilisierende und schließlich Relevanz als selegierende Konstitutionsbedingung bestimmt.

Beteiligte Personen und Institutionen
Beteiligte Institutsangehörige: 

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