Masterkurs "Bildung und Lebenslauf": Biographieforschung

Das soziologische Konzept von Biographie hat, wie Wolfram Fischer und Martin Kohli (1987) in einem Grundlagentext der 1980er Jahre deutlich machen, nicht das Individuum zum Gegenstand, sondern das “soziale Konstrukt Biographie”. Auf der Basis der Theorietraditionen der interpretativen Soziologie und des Sozialkonstruktivismus, aber ebenso angeleitet durch theoretische Annahmen zur sozialen Strukturierung von Lebensläufen im sozialen Raum (Bourdieu), handelt es sich bei dem Biographiekonzept um ein historisch-gesellschaftliches Phänomen, nämlich dem mit Beginn der Moderne sich herausbildenden Modus der biographischen Selbstpräsentation und –konstruktion. Genau hier setzt das Seminar an. Wir werden uns gemeinsam mit den theoretischen Annahmen beschäftigen, die das Konzept Biographie und damit zusammenhängend den im Zeitverlauf sich verändernden Modus biographischer Selbstpräsentation zu erkären versuchen. Eine Reihe von Fragen werden dabei zu diskutieren sein wie etwa

  • Was ist das ‘Material’ der Biographieforschung?
  • Welche Funktionen haben (auto-)biographische Selbstpräsentationen für ihre Produzenten und Rezipienten?
  • Wie lassen sich gelebtes und erzähltes Leben aufeinander beziehen?
  • Wie lässt sich das Spannungsverhältnis von individuellen und kollektiven Erfahrungen und Erinnerungen und mithin die Frage, wie dieses in Selbstbeschreibungen aktualisiert wird, näher bestimmen?
  • In welcher Relation stehen alltägliche Kommunikationen oder Texte zu anderen Diskursen und ihren Texten?

Neben der theoretischen Diskussion um Biographie und biographischer Selbstreflexion werden wir uns auch mit den methodologischen und methodischen Implikationen der Biographieforschung rsp. mit der rekonstruktiven Forschungslogik auseinandersetzen.

Leistungsnachweis:

kontinuierliche Mitarbeit, Referat, Hausarbeit und Forschungspapier

Literaturempfehlung

  • Bourdieu, Pierre (1990): Die biographische Illusion. In: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History, 3 (1), S. 75-81
  • Ecarius, Jutta / Friebertshäuser, Barbara (Hrsg.) (2005): Literalität, Bildung und Biographie. Perspektiven erziehungswissenschaftlicher Biographieforschung. Leverkusen
  • Engelhardt, Michael v.: Biographie und Identität. Die Rekonstruktion und Präsentation von Identität im mündlichen autobiographischen Erzählen. In: Sparn, Walter (Hrsg.): Wer schreibt meine Lebensgeschichte? Biographie, Autobiographie und Hagiographie und ihre Entstehungszusammenhänge, Gütersloh 1990, S. 197-247
  • Fischer-Rosenthal, W./Alheit, P. (Hrsg.)(1995): Biographien in Deutschland. Soziologische Rekonstruktionen gelebter Gesellschaftsgeschichte, Opladen: Westdeutscher Verlag
  • Fuchs-Heinritz, Werner (2005): Biographische Forschung. Eine Einführung in Praxis und Methoden.
  • Hahn, Alois /Kapp, Volker (1987) (Hg.):  Selbstthematisierung und Selbstzeugnis: Bekenntnis und Geständnis. Frankfurt a. Main
  • Küsters, Ivonne (2009): Narrative Interviews. Grundlagen und Anwendungen. Wiesbaden
  • Rosenthal, Gabriele (1995): Erlebte und erzählte Lebensgeschichte. Gestalt und Struktur biographischer Selbstbeschreibungen. Frankfurt a. Main/New York
  • Völter, Bettina u.a. (Hrsg.) (2005): Biographieforschung im Diskurs. Theoretische und methodologische Verknüpfungen. Wiesbaden
Datenblatt
Semester: 
Wintersemester 2011/2012
Ort und Zeit: 
R. 5.012
Montag 16.15-17.45
Sprache: 
Deutsch
ECTS MA: 
10.0

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